Demokratiebildung

Vor dem Hintergrund der Digitalisierung mit ihren ambivalenten Folgen für politische Teilhabe und gesellschaftliche Entwicklungen hat die KMK 2018 ihre bisherigen Empfehlungen zur Demokratie- und Menschenrechtsbildung erneut bekräftigt und ausdifferenziert.

Auch in Rheinland-Pfalz wird die Demokratiebildung 2019 als zentrale Entwicklungsaufgabe in Schule und Lehrerbildung gestärkt. Das TrigitalPro-Modul „Demokratiebildung“ ermöglicht allen Lehramtsstudierenden eine verbindliche und durch Beteiligung von Fachwissenschaften, Bildungswissenschaften, Fachdidaktiken und externen Akteuren (u.a. DeGeDe, Bündnis „Demokratie gewinnt!“) fundierte Auseinandersetzung mit Grundlagen und Praxisformen der Demokratiebildung.

Im Vergleich zu bestehenden Angeboten erweitert es diese erstmals systematisch um epistemische, demokratietheoretische und ethische Implikationen der Digitalisierung mit ihren radikalen Auswirkungen auf demokratische Gesellschaften und politische Partizipation (u.a. liquid democracy, E-Partizipation, digital gap, Fake News, Echokammern, Bots).


Projektvorstellung


Digitalisierung wirkt sich in radikaler Weise auf alle Lebensbereiche aus – so auch auf die Demokratie. Optimistische Prognosen erwarten, dass Online-Partizipation die demokratische Teilhabe, politische Mobilisierung und Entscheidungsprozesse verbessern und erleichtern wird – und so den Einfluss der Bürger und Bürgerinnen auf die Politik stärken kann. Die mit der Digitalisierung einhergehenden Veränderungen in der Produktion, Distribution und Erschließung von Wissen, beispielsweise durch frei verfügbare Online-Bildungsangebote (MOOCs oder Open-Educational-Resources), könnten außerdem Bildungssysteme nachhaltig demokratisieren und Bildungsgerechtigkeit erhöhen.

Kritische Zukunftsentwürfe sehen dagegen durch die Digitalisierung die Demokratie und das Bildungssystem gleichermaßen gefährdet.  So ermögliche beispielsweise Big Data eine nie dagewesene soziale Kontrolle, die die Privatsphäre zerstören und in einen digitalen Faschismus führen könne. Soziale Ungleichheit und Bildungsbenachteiligung würden sich durch die digitale Spaltung vergrößern; Social Bots und Digital Microtargeting würden mit Fake News und Echokammern gesellschaftlichen Zusammenhalt zersetzen, politische Meinungsbildung manipulieren und Pluralismus als Grundlage demokratischer Gesellschaften vernichten.

Interview von Schüler*innen, Lehrkräfte und Expert*innen im Bereich Schulentwicklung aus Luxemburg und Deutschland zur Bündniskonferenz „BKON#1“ in Ingelheim

Wie sich die Digitalisierung entwickelt und welchen Einfluss sie in den unterschiedlichen Lebensbereichen tatsächlich gewinnt, ist in erster Linie nicht durch technische, sondern durch politische Entscheidungen und Kompetenzen der Bürger bestimmt.

So hängen beispielsweise der Datenschutz und die damit einhergehenden Fragen von Macht und Einfluss maßgeblich von den Entscheidungen der Politik und der Nutzer bestimmter Anwendungen ab. Es ist möglich, persönliche Konsumgewohnheiten, Gesundheitszustände, Verhaltensweisen und Vorlieben mit Hilfe von Digital Tracking und Algorithmen zu messen und vorherzusagen oder durch technische Innovation und die Anonymität des Internets Desinformations- und Verleumdungskampagnen zu führen.

Gesellschaften müssen deshalb ihr Verständnis von Persönlichkeitsrechten und digitaler Selbstbestimmung neu verhandeln und daraus Maßnahmen zur Prävention von Diskriminierung und Manipulation und zum Schutz der Privatsphäre und demokratischer Öffentlichkeit ableiten. Für Schule und Unterricht stellt Digitalisierung damit nicht allein eine technische oder medienpädagogische Herausforderung, sondern insbesondere auch eine demokratiepädagogische Bildungsaufgabe dar, die Inhalte, Methoden und Ziele des Lernens und Lehrens in allen Fächern tangiert.

Die Schule ist ein zentraler Ort des digitalisierungsbezogenen Kompetenzerwerbs, da sie auf egalitäre und vielfältige Weise Wissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten fördern kann, die fundamental für das (Zusammen-)Leben im 21. Jahrhundert sind.

Die Digitalisierung ist dabei zugleich nicht nur ein Unterrichtsgegenstand, sondern bietet mit ihren Tools auch vielfältige Gelegenheiten, die Partizipation von Schüler*innen an Unterricht und Schulleben entscheidend zu stärken. Damit nicht technische Innovation oder gar ökonomische Interessen didaktische Konzepte bestimmen, bedarf es hierzu einer aktiven demokratiepädagogischen Schul- und Unterrichtsentwicklung.

Demokratiebildung ist Schul- und Unterrichtsprinzip und damit Aufgabe aller Fächer. Sie vermittelt sich über Inhalte, Unterrichtsgestaltung, das Verhalten und Haltungen von Lehrpersonen wie über eine partizipativ gestaltete Schulkultur – auch da und ggf. in kontraproduktiver Weise, wo Bezüge unreflektiert bleiben oder gar geleugnet werden.

Vor dem Hintergrund der Digitalisierung hat daher die Kultusministerkonferenz im Jahr 2018 ihre Empfehlungen zur Demokratie- und Menschenrechtsbildung erneut bekräftigt und ausdifferenziert und auch in Rheinland-Pfalz wurde die Demokratiebildung 2019 als zentrale Entwicklungsaufgabe in Schule und Lehrerbildung gestärkt.


Demokratiebildung in der digitalisierten Gesellschaft

Zielsetzung


Ziel des Teilprojekts „Demokratiebildung in der digitalisierten Gesellschaft“ ist die konzeptionelle Schärfung einer Demokratiebildung unter den besonderen Herausforderungen und Chancen gesellschaftlicher Digitalität. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Professionalisierung der Lehrpersonen.

Um diese zu unterstützen, verbindet das Projekt eine qualitative Grundlagenforschung zu den Gelingensbedingungen und Herausforderungen digitalisierungsbezogener demokratiepädagogischer Praxen und Kompetenzen von Lehrpersonen mit der nachhaltigen Implementierung eines Qualifizierungsangebots in Form eines universitären Zusatzzertifikats für Lehramtsstudierende und der fachdidaktischen Entwicklung demokratiepädagogischer Bildungskonzepte für Schule und die Lehrerfortbildung.


Umsetzung


Das Zusatzzertifikat „Demokratiebildung“ ermöglicht Lehramtsstudierenden eine verbindliche und durch Beteiligung von Fachwissenschaften, Bildungswissenschaften, Fachdidaktiken und externen Akteuren (u.a. DeGeDe, Bündnis „Demokratie gewinnt!“, Zentrum fir politesch Bildung Luxemburg) fundierte Auseinandersetzung mit Grundlagen und Praxisformen der Demokratiebildung unter systematischer Berücksichtigung epistemischer, demokratietheoretischer und ethischer Implikationen der Digitalisierung mit ihren radikalen Auswirkungen auf demokratische Gesellschaften und politische Partizipation.

Die Qualifikation der Studierenden für Fragen einer digitalisierungsbezogenen Demokratiebildung kombiniert hierzu digitale Lernmodule, Präsenzveranstaltungen und projektorientierte Lernphasen im Sinne des Forschenden Lernens in Zusammenarbeit mit schulischen und außerschulischen Kooperationspartnern aus der Großregion.

Flankiert wird das Modul durch ein Online-Tutorium und eine digitale Portfolioarbeit, die zu einer Selbstreflexion von Erfahrungen und Professionalisierungsprozessen anleitet (vgl. Abb.). Einzelne digitale Lernmodule des Zusatzzertifikats und analoge Veranstaltungskonzepte sollen nach ihrer Erprobung und Evaluation auch als Fortbildungsangebote in der zweiten und dritten Phase der Lehrpersonalbildung adaptiert werden.

Inhalte und Verfahren des Zusatzzertifikats bauen dabei gleichermaßen auf der demokratiepädagogischen Grundlagen- und fachdidaktischen Entwicklungsforschung auf.

So erheben mehrere Forschungsprojekte im Rahmen von Qualifikationsarbeiten demokratiepädagogische Praxen, Deutungsmuster und Erfahrungen der an Schule Beteiligten. Hierbei untersucht insbesondere das Promotionsprojekt von Christine Achenbach-Carret Gelingensbedingungen der Demokratiebildung in den berufsbildenden Schulen – einer Schulform, deren demokratiepädagogische Praxen kaum erforscht sind, die aber zugleich vor erheblichen spezifischen Herausforderungen u.a. aufgrund der geringen Präsenszeit und der heterogene Schülerschaft steht.

Darüber hinaus werden im Rahmen fachdidaktischer Entwicklungsforschung und in enger Kooperation mit dem digitalen Lernlabor „SowiLab“ des Arbeitsbereichs Didaktik der Gesellschaftswissenschaften digitale Unterrichtsmaterialien und Bildungskonzepte für die Förderung digitalisierungsbezogener Demokratiekompetenzen von Lernenden und Lehrenden entwickelt und erprobt werden. Dies soll insbesondere auch durch studentische Projektarbeiten geschehen, die in fachdidaktischen und politikwissenschaftlichen Lehrveranstaltungen initiiert und begleitet werden.